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Institut für Politikwissenschaft und Soziologie

Geschlecht in der Medizin – Kampf um Wissen und Macht

„Geschlecht in der Medizin – Kampf um Wissen und Macht“ - Veranstaltung des AK Gender am 09.11.2016

Was ist das Geschlecht eines Menschen? Wer bestimmt es, legt es fest und anhand welcher Kriterien? Sind die bestehenden Kategorien, die aufgrund rein biologischer Strukturen (sog. Geschlechtsmerkmale) gebildet werden, ausreichend, um die tatsächliche Diversität der geschlechtlichen Selbstverortung zu erfassen?

Diese Fragen wurden zum Auftakt in die Veranstaltungen im Wintersemester 2016/17 im Rahmen des Institutskolloquiums am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie behandelt. Unter dem Titel „Geschlecht in der Medizin – Kampf um Wissen und Macht“, gab Dr. Erik Schneider, Psychiater und Psychotherapeut sowie Autor des Buches „Normierte Kinder – Effekte der Geschlechternormativität auf Kindheit und Adoleszenz“, einen Einführungsvortrag zur Geschlechterdiversität. 

Der vorherrschenden heteronormativen, binären Geschlechterordnung wurde ein polypolares, plurales und intersektional verfasstes Geschlechterkontinuum gegenübergestellt, welches dazu beitragen kann (und soll) zu einer Geschlechterordnung der Vielfalt zu gelangen. Durch diese neue Definition werde Pluralität zu Norm; dies stehe der Annahme einer Zweigeschlechtlichkeit, die aus medizinischer Sicht bestehen bleibt, entgegen. Folge der momentan geltenden Geschlechterordnung sei, dass Abweichungen von diesen geltenden „Normvorstellungen“ oftmals als „Krankheit“ diagnostiziert und behandelt werden. Die kulturelle Einbettung medizinischer Perspektiven und die daraus resultierende Geschlechterzuweisung wurden kritisch hinterfragt. Dr. Schneider machte deutlich, dass die geschlechtliche Selbstverortung gemäß den kulturell verankerten Geschlechternormen erfolgen kann, aber nicht muss. Ebenso kann aber muss diese Verortung nicht binär verfasst sein. 

Trotzdem wird Kindern bei ihrer Geburt anhand ihrer Geschlechtsmerkmale ein Geschlecht zugewiesen, zudem werde Kindern durch Eltern/Familie, Schule und soziales Umfeld geschlechterrollentypisches Verhalten beigebracht, um ihre Geschlechtsidentität herauszubilden. Doch was, wenn das Zuweisungsgeschlecht und die geschlechtliche Selbstwahrnehmung nicht kongruent sind? Dr. Schneider unterscheidet hierbei drei bzw. vier Herangehensweisen in der Medizin: die normalisierende Herangehensweise, die vermeidende Herangehensweise, die affirmative Herangehensweise und die „wait and see“ Herangehensweise, wobei er betont, dass alleine die affirmative Herangehensweise keine nachweislichen negativen Effekte auf Kinder und Jugendliche habe.

Dabei plädierte er auch für einen Weg der gegenseitigen Anerkennung und Offenheit, beginnend im Kindesalter um der Pluralität unterschiedlicher Lebensentwürfe gerecht zu werden.

Wir danken Dr. Erik Schneider für den spannenden Vortrag und allen Teilnehmer*innen für das Interesse.