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Institute of Political Science and Sociology

Vortrag: Der PayGap beginnt im Kinderzimmer. Rollenklischees in Erziehung, Bildung … und wie wir sie vermeiden lernen

Disclaimer: Im nachfolgenden Veranstaltungsbericht und dem ihm zugrundeliegenden Vortrag ist hauptsächlich von binären Geschlechtern die Rede. Dieser Umstand begründet sich darin, dass bei der Produktentwicklung und Werbung in der Regel ausschließlich von Männern/Jungen und Frauen/Mädchen die Rede ist, wodurch Unternehmen und Werbemachende ein binäres Geschlechterverständnis reproduzieren, was neben dem Gender-Marketing selbst ein weiteres, gravierendes Problem darstellt.

Als Auftaktveranstaltung der Vortragsreihe „Gender & Bildung“ im Wintersemester 2022/23 hielt Sascha Verlan am 30.11.2022 einen Vortrag über Rollenklischees in der Erziehung und Bildung. Der Vortragende arbeitet als Journalist und Autor (Die Rosa-Hellblau-Falle) und organisiert die Verleihung des Goldenen Zaunpfahls

Verlan zeigte auf, dass durch verschiedene Ereignisse ab dem Jahr 2006 deutliche Veränderungen in der Wahrnehmung der Kategorie Geschlecht in Medien und Werbung entstanden. Dazu beigetragen hat u. a. der Internationale Gender Marketing Kongress (2006) in Berlin, welcher die Zielgruppe von Werbung entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu einem binären Geschlecht einteilte. Ziel dieser Maßnahme war es Profitchancen zu erhöhen, indem zwei unterschiedliche Zielgruppen (Männer bzw. Jungen und Frauen bzw. Mädchen) mit vermeintlich unterschiedlichen Bedürfnissen geschaffen wurden.

Welche Auswirkungen jenes Gendermarketing auf die Produktentwicklung nimmt, illustrierte Verlan anhand verschiedener Produkte für Kinder und Erwachsene, um die Teilnehmenden für die Thematik zu sensibilisieren. Durch die gezeigten Beispiele wurde deutlich, dass zahlreiche Produkte inzwischen häufig durch ein Alternativprodukt für das weibliche Geschlecht ergänzt werden. Dabei werden die Produkte für Jungen und Männer als normal, und die Produkte für Mädchen und Frauen als anders konstruiert, zum Beispiel gibt es das „normale“ Überraschungsei und das rosafarbene Überraschungsei „nur für Mädchen“. Zudem wird die Bereitschaft von Frauen beobachtet, insbesondere für vergleichbare Drogerieprodukte mehr zu zahlen (Gender-Pricing). Welche Auswirkungen die Zuschreibung bestimmter Merkmale gegenüber einer Gruppe hat, zeigt sich auch in der Verknüpfung von Männlichkeit mit Alkohol und Fleisch. Durch einen erhöhten Alkohol- und Drogenkonsum und ungesunde Ernährung wird die Lebenserwartung von Männern im Vergleich zu Frauen durchschnittlich um fünf Jahre herabgesetzt. Das bedeutet, dass basierend auf der binären Differenzierung von Geschlecht Erwartungshaltungen und die Lebensgestaltung schon im Kindesalter geprägt werden. Diese Trennung bietet somit Nachteile für alle Geschlechter.

Alles in allem nehmen genderbasierte Kampagnen, welche auf eine binäre Unterscheidung von Geschlecht zurückgreifen tendenziell zu und schaffen eine künstliche Trennung zwischen den Geschlechtern.

Bei der Untersuchung von Spielsachen zeigen sich zum Beispiel zwei verschiedene Produktwelten. Während Begriffe wie „battle“, „adventure“ und „control“ sich an Jungen richten, sollen die Mädchen Worte wie „fun“, „magic“, „beautiful“ und „hair“ ansprechen. Diese getrennten Welten zeigen sich auch bei Prints auf Kinderkleidung. Vorherrschend bei Jungen sind „cool“, „skate“ und „never“, wohingegen Logos mit „love“, „smile“, „cool“, „star“ und „magic“ sich an Mädchen richten. Eine Studie der Süddeutschen Zeitung zeigt darüber hinaus auf, dass die Schlagwörter, die Jungen ansprechen sollen eine große Vielfalt abbilden, wohingegen die Möglichkeiten für Mädchen sehr begrenzt sind. An dieser Stelle wird deutlich, dass Jungen und Mädchen nicht gleichwertig angesprochen werden, sondern ein eingeschränktes Bild von Weiblichkeit existiert. In Werbekampagnen werden so für Jungen viele verschiedene Typen geschaffen – vom Abenteurer bis zum Tüftler, wohingegen Mädchen lediglich in zwei Typen eingeteilt werden: Introvertierte und Extrovertierte. Jene Herabwürdigung des weiblichen Geschlechts zeigt sich zudem bei der Verwendung von sexistischen Ausdrücken wie „Mädchenkram“ und der Möglichkeit das Wort „Mädchen“ als Schimpfwort zu nutzen.

Bei der Gestaltung von Produkten für Jungen und Mädchen wird auf hellblau für das männliche Geschlecht und rosa für das weibliche Geschlecht zurückgegriffen. Diese Zuordnung existiert erst seit rund 100 Jahren. Zuvor symbolisierte die Farbe Rot den König und Blau die Himmelsgöttin. Durch die Einführung des Blaumanns, der Blue Jeans und der Marineuniform wurde Blau jedoch Männern zugeordnet. Diese farbliche Zuordnung ist weder auf genetische noch kulturelle Bedingungen zurückzuführen, sondern auf Sozialisationsprozesse.

Verlan erklärte weiterhin, wie eine genderbasierte Trennung dazu führt, dass innerhalb der einzelnen Gruppen ein Zusammenhalt entsteht und die andere Gruppe als Fremdgruppe konstruiert wird. Untersuchungen zu Gruppenprozessen zeigen auch, dass Personen Zugehörige einer Fremdgruppe strenger bewerten und mit ihnen weniger nachsichtig sind als mit ihren eigenen Gruppenmitgliedern. Darüber hinaus werden Personen der Fremdgruppe als eher ähnlich untereinander wahrgenommen (Stereotype).

Mit einer eindeutigen Positionierung zu einer genderbasierten Gruppe geht einher, sich von der anderen Gruppe abzugrenzen. Wenn Kinder diese Grenzen zwischen den Geschlechterstereotypen durchbrechen, erwarten sie einerseits negative Botschaften, und andererseits positive Botschaften („Toll, dass du dich das auch traust.“), welche die Merkmale des einzelnen Kindes als erwähnenswert herausstellen und das Kind immer im Kontext seiner Geschlechtsgruppe konstruieren.

Bereits im Kindesalter kann ein Gender Pay Gap identifiziert werden, da Jungen mehr Taschengeld, teurere Weihnachtsgeschenke und für haushaltsnahe Tätigkeiten häufiger Geld erhalten als Mädchen. Darüber hinaus übernehmen Mädchen früher und selbstverständlicher Verantwortung in der Familien- und Hausarbeit. Dadurch erlernen sie, dass auf das weibliche Geschlecht der Großteil der Fürsorgearbeit entfällt, diese jedoch in der Regel nicht entlohnt wird und weniger Anerkennung erfährt.

Studien zeigen zudem: Mädchen sowie Jungen nehmen Jungen bereits im Grundschulalter als intelligenter wahr, auch wenn dies nicht der Fall ist.  Das ist darauf zurückzuführen, dass Mädchen ihre Kompetenzen eher unterschätzen und Jungen ihre Kompetenzen eher überschätzen. Diese Entwicklung beginnt in der Grundschulzeit, zuvor sehen sie alle Kinder ohne Rückgriff auf die Kategorie des Geschlechts als gleichgestellt an.

Abschließend zeigte Verlan Handlungsmöglichkeiten auf, um geschlechterstereotypen Sichtweisen zu begegnen und ihnen entgegenzuwirken:

  1. Zuhören: Personen unvoreingenommen entgegentreten.
  2. Gemeinsamkeiten entdecken: Den Fokus von den Unterschieden auf die Gemeinsamkeiten lenken. Unterschiede existieren nur hinsichtlich bestimmter Kategorien z.B. dem Geschlecht. Jenseits davon bestehen jedoch viele Gemeinsamkeiten.
  3. (Nicht) auf das Geschlecht achten: Die Kategorie des Geschlechts existiert, muss aber nicht permanent thematisiert und dadurch dramatisiert werden. Durch die Dramatisierung wird das Geschlecht allerdings betont, sodass es in Erziehungs- und Bildungskontexten nur beiläufig erwähnt werden sollte (Entdramatisierung). Diese Balance herzustellen ist eine der zentralen Herausforderungen für Erziehende und Lehrende.
  4. Wissen um Geschlechterhierarchien: Geschlechtsidentitäten sind nicht gleichwertig, sondern hierarchisch geordnet. So besetzen Männer höhere Positionen und erwerben ein höheres Gehalt. Dies muss erkannt und benannt werden.
  5. Wahrnehmung prüfen: Die eigene Vorstellung von Gleichheit muss reflektiert werden. Gewöhnlich sind mehr Männer vertreten, sodass bei einem tatsächlichen Gleichgewicht beider Geschlechter die Anzahl von Frauen überschätzt und damit als ungerecht wahrgenommen wird. Es bedarf einer Vielfalt an Vorbildern, um Frauen sichtbar zu machen und Mädchen ihre Möglichkeiten in der Gesellschaft aufzuzeigen.

Der AK Gender bedankt sich bei Sascha Verlan für den ansprechenden und interessanten Vortrag. Vielen Dank auch an die Teilnehmenden für das Teilen von eigenen Erfahrungen und weiteren Aspekten zu dem Thema Rollenklischees im Kindesalter.