17.07.2023: Nachhaltigkeit in Bayern – Landtagskandidat*innen diskutieren Lösungspfade
Mit Blick auf die bevorstehende bayrische Landtagswahl im Herbst 2023 fand am 17.07.2023 eine Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen demokratischer Parteien statt. Dass diese Veranstaltung auf hohes Interesse stieß, spiegelte die Größe des Publikums wider – über 160 Personen füllten an diesem Abend das Forum des Wittelsbacherplatz.
Im Mittelpunkt standen die Herausforderungen des Freistaates in den Bereichen der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit. Dementsprechend lautete die übergeordnete Frage des Abends, wie Bayern künftig zur Bekämpfung der Klimakrise beitragen kann und welche konkreten politischen Lösungspfade sich für eine sozial-ökologische Transformation bieten.
Eröffnet wurde die Veranstaltung von Ulrike Zeigermann. Die Junior-Professorin für Sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung berichtete von den bereits spürbaren Folgen des Klimawandels in Würzburg und der Region Mainfranken und verwies auf den anlaufenden Landtagswahlkampf in Bayern. Im Anschluss stellte Folker Quack, Main-Post-Redakteur und Moderator des Abends, die Kandidat*innen vor. Auf dem Podium diskutierten Dr. Andrea Behr (CSU), Kerstin Celina (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN), Florian Kuhl (FDP), Volkmar Halbleib (SPD), Dmitry Nekhoroshkov (DIE LINKE) und Felix von Zobel (FREIE WÄHLER / UWG-FW). Im Anschluss waren die anwesenden Podiumsgäst*innen aufgefordert, zu den Fragen des Publikums sowie der Studierendenschaft Stellung zu beziehen.
Im Bereich der ökonomischen Nachhaltigkeit wurde unter anderem die Frage nach der Förderung von innovativen Start-Ups gestellt. Als mögliche Lösungsansätze wurden Erleichterungen bürokratischer Verfahren für Unternehmensgründungen und Anschubfinanzierungen vorgeschlagen. Hinzu kämen eine frühzeitige Förderung des Unternehmer*innentums an Schulen sowie eine verbesserte Kooperation und Vernetzung zwischen Universitäten und der Wirtschaft.
In Hinblick auf die Dimension der ökologischen Nachhaltigkeit wurden diverse Aspekte diskutiert. Darunter die Förderung des Netz- und Flächenausbaus für Erneuerbare Energien. Dieser bedürfe, so die Kandidat*innen, nicht nur beschleunigte planerische Verfahren, sondern auch die Einbeziehung der Bürger*innen zur Sicherstellung eines gesellschaftlichen Konsenses. Hier stellte sich die Frage, ob mit Hilfe der Wissenschaft als Quelle von Innovationen und verbesserten Technologien in Zukunft ein Aufholen möglich sein wird ─ oder ob die technischen Möglichkeiten und fachlichen Konzepte nicht schon vorhanden seien, es aber bisher an politischen Mehrheiten gefehlt habe, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien durch entsprechende Entscheidungen voranzutreiben.
Um die Voraussetzungen für die Fahrradmobilität im Alltag zu stärken, wurden als Lösungspfade unter anderem der Ausbau interkommunaler Radwege und die Zusammenarbeit über Bundesländergrenzen hinweg thematisiert. Auch wenn die Handlungsverantwortung in erster Linie bei den Kommunen und Landkreisen liege, könnte der Freistaat hier durch entsprechende Finanzierungen unterstützend tätig werden. Thematisiert wurde auch die dringende Notwendigkeit der Verbesserung des Stadtklimas sowie des Ausbaus und des Schutzes von Freiluftschneisen, regionalen Grünzügen und Wäldern. Als Lösungsansätze wurden städtebauliche Innovationen, orientiert an (internationalen) Vorbildern, genannt. Zur Förderung des Stadtgrüns und der Fassadenbegrünung seien Anreizprogramme für Unternehmen und Privatpersonen sowie entsprechende Maßnahmen im Bereich des Denkmalschutzes erforderlich. Hinzu kämen Maßnahmen des Emissionsschutzes mit Blick auf den innerstädtischen Autoverkehr und alternative Mobilitätskonzepte. Nicht zuletzt wurden Problematiken des Landwirtschaftsektors unter den Aspekten der Ernährungssicherheit, des Boden- und Trinkwasserschutzes sowie des Tier- und Naturschutzes adressiert. Diskutiert wurden die Ausweisung entsprechender Schutzgebiete und die Einführung eines sogenannten Wassercents für die Entnahme von Grundwasser in Kombination mit entsprechenden Anreizen und Förderprogrammen des Freistaats für die Landwirt*innen.
Die sozialen Herausforderungen der gesellschaftlichen Transformation wurden unter der Verbindung bzw. Gleichsetzung von Klimaschutz- und Sozialpolitik diskutiert. Daran schlossen sich Fragen nach gerechter Teilhabe, Chancengleichheit und unterschiedlichen Vulnerabilitäten an. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die Themen Wohnungsbau, Kinderarmut und der Zugang zu Bildung. Problematisiert wurden dabei unter anderem der Fachkräftemangel insbesondere an Grund- und Mittelschulen sowie die Kürzungen von Mitteln und Stellen an bayrischen Hochschulen. Als Lösungsansätze wurden eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Lehrpersonals und der Ausbau von Stellen für Sozialarbeiter*innen an Schulen diskutiert. Weitere Maßnahmen, wie die Förderung der Digitalisierung (insb. von Kompetenzen und technischen Ausstattungen), eine vertiefende Berufsorientierung und eine verbesserte handwerkliche Ausbildung, wurden ebenfalls benannt. Zur Stärkung von Eltern und Kindern wurden darüber hinaus ein angemessener Mindestlohn, die Einführung einer Kindergrundsicherung, die Verbesserung des Angebots in der frühkindlichen Bildung und der Nachmittagsbetreuung diskutiert. Auch integrationspolitische Maßnahmen und die Schaffung öffentlicher Begegnungsräume in Verbindung mit Ehrenamts- und Kulturförderung wurden thematisiert.
Gemeinsam war den Debatten des Abends die Frage nach einer Gewichtung der drei Dimensionen von Nachhaltigkeit und danach, inwieweit Nachhaltigkeit als Kern und Grundvoraussetzung jeglicher politischer Lösungspfade begriffen werden müsse. Dabei wurden die Themen des Abends teils sehr kontrovers diskutiert. Zu beobachten war, dass sich in der Prioritätensetzung und in den Maßnahmevorschlägen der Diskutant*innen Tendenzen abzeichneten, die zum Teil auf die verschiedenen Parteizugehörigkeiten zurückgeführt werden können. Weitgehende Einigkeit zeigte sich hingegen bei der Distanzierung und Abgrenzung der Parteivertreter*innen gegen Rechts.
Die Diskussionsfragen wurden maßgeblich von Studierenden des Masterstudiengangs Sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung vorbereitet. Zum Abschluss überreichten die Studierenden fünf zentrale Empfehlungen an die Politiker*innen. Diese können hier angesehen werden.
Organisiert wurde die Veranstaltung unter der Leitung von Anja Harder, Jun.-Prof. Dr. Ulrike Zeigermann sowie vom Team des Forum Nachhaltigkeit am IPS. Gefördert wurde sie vom Human Dynamics Centre der JMU. Die Abendveranstaltung bildete den Abschluss der Veranstaltungsreihe zum Thema „Transformatives Nachhaltigkeitswissen im Spannungsfeld von Normativität und Normalität“ des Forum Nachhaltigkeit. Für das Wintersemester 2023/ 2024 ist eine weitere dreiteilige Veranstaltungsreihe zum Thema „Deliberative Nachhaltigkeitsgovernance – Räume – Akte – Wissen“ geplant.