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Institut für Politikwissenschaft und Soziologie

Anti-Diskriminierung durch gendergerechte Sprache?

15.01.2020

Prof.‘in Dr. Sabine Sczesny, Professorin für Soziale Neurowissenschaft und Sozialpsychologie an der Universität Bern, hat einen Vortrag mit dem Titel „Anti-Diskriminierung durch gendergerechte Sprache?“ gehalten.

Im Wintersemester 2019/20 ist das Oberthema des AK Gender ‚Gender & Sprache‘. Am 15.01.2020 fand in diesem Rahmen die zweite Veranstaltung statt, die mit ca. 90 Teilnehmenden wieder sehr gut besucht war. Prof.‘in Dr. Sabine Sczesny, Professorin für Soziale Neurowissenschaft und Sozialpsychologie an der Universität Bern, hat einen Vortrag mit dem Titel „Anti-Diskriminierung durch gendergerechte Sprache?“ gehalten.

Der Vortrag wurde dabei durch drei Fragestellungen strukturiert. Die erste dieser Fragestellungen lautete: Inwieweit korrespondieren Sprachstruktur und Sprachgebrauch mit dem sozialen Status der Geschlechter? Diese Frage wurde anhand von mehreren Studien untersucht, die die Gleichstellung in Ländern mit ‚grammatical gender languages‘ (z.B. Deutsch) und ‚natural gender languages‘ (z.B. Englisch) untersucht. Länder mit ‚grammatical gender languages‘, d.h. Sprachen mit einem grammatischen Genus, weisen eine geringere Gleichstellung auf als Länder mit anderen Sprachsystemen (‚natural gender languages‘ oder ‚genderless languages‘) (Prewitt-Freilino/Caswell/Laasko 2012). Die von Frau Sczesny vorgestellten Studien zeigten insgesamt, dass empirische Evidenz für die Korrespondenz von Sprachstruktur und Sprachgebrauch mit einem geringeren sozialen Status von Frauen bzw. einer geringeren gesellschaftlichen Gleichstellung der Geschlechter besteht (Gustafsson Sendén 2013; Hodel/Formanowicz/Sczesny/Valdrova/von Stockhausen 2017; Jakiela/Ozier 2018). Offen ist dies bezüglich aber die Kausalität des Zusammenhangs, d.h. was ist die Ursache und was die Wirkung?

Die zweite Fragestellung des Vortrags fokussierte, welche mentalen Bilder von Frauen und Männern durch die Verwendung unterschiedlicher Sprachformen entstehen? Frau Sczesny stellte hier mehrere experimentelle Studien vor, die die Wirkung verschiedener Techniken gender(un)gerechter Sprache auf die gedankliche Einbeziehung von Frauen untersuchen (Braun/Gottburgsen/Sczesny 1998; Stahlberg/Sczesny 2001a, 2001b; Stahlberg/Sczesny/Braun 2001; Hansen/Littwitz/Sczesny 2016). Die Studien zeigen allesamt, dass der Gebrauch gendergerechter Sprache zu einer ausgeglicheneren mentalen Repräsentation der Geschlechter führt als das generische Maskulinum (Stahlberg/Braun/Irmen/Sczesny 2007).

Als dritte Fragestellung wurden die Konsequenzen der mentalen Repräsentation für die Selbst- und Fremdbeurteilung untersucht. Sprache trägt zur Konstruktion und Verbreitung von Geschlechtsstereotypen bei (Maass/Arcuri 1996; Gustafsson/Eagly/Sczesny 2019) und bietet damit einen Nährboden für Diskriminierung. Am Beispiel von Stellenausschreibungen und Berufsbezeichnungen wurde bereits die Wirkung gendergerechter Sprache auf die Selbstbeurteilung von Frauen untersucht. Frauen sind eher an einem typischen Männerberuf interessiert, wenn in der Stellenausschreibung auch explizit Frauen genannt werden (Bem/Bem 1973). Außerdem reagieren Frauen nachweislich auf den Gebrauch des generischen Maskulinums mit Gefühlen der sozialen Ausgeschlossenheit (Stout/Dasgupta 2011). Mädchen zeigen zudem ein größeres Interesse an einem typischen Männerberuf, wenn dieser mit einer gendergerechten Berufsbezeichnung bezeichnet wird (Vervecken/Hannover/Wolter 2013). Bei der Fremdbewertung hingegen werden Bewerber*innen abhängig von der Formulierung der Ausschreibung unterschiedlich beurteilt: Bei Ausschreibungen, die ausschließlich die männliche Form verwenden, erhalten Männer häufiger die Stelle als bei Ausschreibungen, die eine Beidnennung verwenden (Horvath/Sczesny 2016). Eine andere Studie zeigt, dass im Deutschen Personen, die eine gendergerechte Sprache verwenden, als kompetenter eingestuft werden als Personen, die das generische Maskulinum verwenden (Vervecken/Hannover 2012). Somit besteht empirische Evidenz für negativ Konsequenzen des Gebrauchs des generischen Maskulinums, z.B. hinsichtlich Interessen und Intentionen von Frauen sowie hinsichtlich ihrer Chancen, für eine statushohe Führungsposition ausgewählt zu werden.

Frau Sczesny schloss ihren Vortrag mit einer Antwort auf den Titel ihres Vortrags: Ja, gendergerechte Sprache trägt eindeutig zur Anti-Diskriminierung bei und ist somit ein Instrument (von vielen) für mehr Gleichstellung.

Text: Leon Volkamer

 

Die Veranstaltung wurde aus Mitteln des HDC der Fakultät für Humanwissenschaften finanziert. Einen herzlichen Dank dafür!

 

Literaturverzeichnis

Bem, Sandra L./ Bem, Daryl J. 1973: Does Sex-biased Job Advertising “Aid and Abet“ Sex Discrimination?, in: Journal of Applied Social Psychology 3:1, S. 6-18.

Braun, Friederike/ Gottburgsen, Anja/ Sczesny, Sabine (1998): Können Geophysiker Frauen sein? Generische Personenbezeichnungen im Deutschen. Zeitschrift für Germanistische Linguistik, 26(3), pp. 265-283.

Gustafsson Sendén, Marie (2013): Selection Bias in Choice of Words: Evaluations of "I" and "We" Differ Between Contexts, but "They" Are Always Worse, in: Journal of Language and Social Psychology 33:1, S. 49-67.

Gustafsson Sendén, Marie/ Eagly, Alice/ Sczesny, Sabine (2019): Of Caring Nurses and Assertive Police Officers: Social Role Information Overrides Gender Stereotypes in Linguistic Behavior, in: Social Psychological and Personality Science, Artikelnummer 1948550619876636.

Hansen, Karolina/ Littwitz, Cindy/ Sczesny, Sabine (2016): The social perception of heroes and murders: Effects of gender-inclusive language in media reports, in: Frontiers in psychology 7:369, S. 1-7.

Hodel, Lea/ Formanowicz, Magdalena/ Sczesny, Sabine/ Valdrova, Jana/ von Stockhausen, Lisa (2017): Gender-Fair Language in Job Advertisements: A Cross-Linguistic and Cross-Cultural Analysis, in: Journal of Cross-Cultural Psychology 48:3, S. 384-401.

Horvath, Lisa K./ Sczesny, Sabine (2016): Reducing women's lack of fit with leadership positions? Effects of the wording of job advertisements, in: European Journal of Work and Organizational Psychology 25:2, S.316-328.

Maass, Anne/ Arcuri, Luciano (1996): Language and stereotyping., in Macrae, C. Neil/ Stangor, Charles/ Hewstone, Miles (Hrsg.): Stereotypes and stereo typing. New York: Guilford Press, S.193-226.

Prewitt-Freilino, Jennifer L./ Caswell, T. Andrew/ Laakso, Emmi K. (2012): The Gendering of Language: A Comparison of Gender Equality in Countries with Gendered, Natural Gender, and Genderless Languages, in: Sex Roles 66:3-4, S. 268-281.

Stahlberg, Dagmar/ Sczesny, Sabine (2001a): Gender stereotypes and the social perception of leadership. European Bulletin of Social Psychology, 13, pp. 15-29.

Stahlberg, Dagmar/ Sczesny, Sabine (2001b): Effects of the generic use of the masculine pronoun and alternative forms of speech on the cognitive visibility of women. Psychologische Rundschau, 52(3), pp. 131-140.

Stahlberg, Dagmar/ Braun, Friederike/ Irmen, Lisa/ Sczesny, Sabine (2007): Representation of the sexes in language, in: Fiedler, Klaus (Hrsg.): Social communication. Hove, UK: Psychology Press, S.163-187.

Stahlberg, Dagmar/ Sczesny, Sabine/ Braun, Friederike (2001): Name your favorite musician: Effects of masculine generics and of their alternatives in German, in: Journal of Language and Social Psychology 20:4, S. 464-469.

Stout, Jane G./ Dasgupta, Nilanjana (2011): When He Doesn't Mean You: Gender-Exclusive Language as Ostracism, in: Personality and Social Psychology Bulletin 37:6, S. 757-769.

Vervecken, Dries/ Hannover, Bettina (2012): Ambassadors of gender equality? How use of pair forms versus masculines as generics impacts perception of the speaker, in: European Journal of Social Psychology, 42:6, S. 754-762.

Vervecken, Dries/ Hannover, Bettina/ Wolter, Ilka (2013): Changing (S)expectations: How gender fair job descriptions impact children's perceptions and interest regarding traditionally male occupations, in: Journal of Vocational Behavior 82:3, S. 208-220.

 

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