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Institut für Politikwissenschaft und Soziologie

Politologie und Mathematik – Studierende im interkulturellen Diskurs

14.10.2022

Franken und Oberbayern, PolitologInnen und MathematikerInnen, völlig unterschiedliche Sozialisationen und Fachkulturen. Geht das? Kann das fruchtbar sein? Studierende der Politologie von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Mathematik aus der TUM machten sich auf den Weg nach Rothenburg o.d.T., um dort das Experiment zu starten.

Das Thema, das die Gruppe von Studierenden untersucht, ist die Evolution von Staaten und Organisation. Gerade in der aktuellen Situation, in der die Souveränität und die Grenzen von europäischen Staaten in Frage gestellt wird, ist es umso wichtiger sich Gedanken zu machen über die tieferen Prozesse, die die Entwicklung moderner Staatsgebilde steuern. Klar, ein Kernthema der Politologie. Aber was haben die Mathematiker*innen da zu suchen? Hier hilft die mathematische Evolutionstheorie. Viel ist bekannt über die Entstehung komplexer biologischer Systeme, die in ihrer Komplexität sozialen Systemen nicht nachsteht. Mathematik ist ein essenzielles Werkzeug in der Evolutionstheorie geworden, die es erlaubt Mechanismen zu identifizieren, Ideen und Hypothesen in mathematische Modelle umzusetzen, und theoretische Überlegungen in quantitativ zu überprüfende Voraussagen zu übersetzen. Für die Biologie und Evolutionstheorie war das ein langer Weg, aber schon Darwin erkannte, dass der Weg fruchtbar sein könnte.

Die Studierenden starteten eine ähnliche Expedition mit dem Kickoff Meeting im Haus Wildbad in Rothenburg (finanziert aus Studienzuschüssen seitens des IPS und der Biomathematik der TUM), der Ausgangspunkt eines semesterlangen Projekts in Form eines Seminars: Können wir gemeinsam, aus Politologie und Mathematik heraus, die Werkzeuge der mathematischen Evolutionstheorie in sozialwissenschaftliche Forschungstools übersetzen? Zunächst galt es der eigenen Disziplin und wissenschaftlichen Identität gewahr zu werden, und durchaus Selbstverständliches zu hinterfragen Ist Mathematik kulturabhängig? Wenn wir etwas bewiesen haben, ist es wahr? Welche wissenschaftstheoretischen Grundlagen haben die beiden Disziplinen eigentlich? Themen, denen wir im Studium eher nicht begegnen, um dann von diesem Grund aus, sich auf die Fachkultur der KommilitonInnen der jeweils anderen Disziplin einlassen zu können Für die PolitologInnen hieß das z.B. zu sehen, wie die Mathematik mit ganz einfachen Modellen beginnt, wo PolitologInnen „von vorneherein klar“ ist, dass diese der Komplexität von sozialer Wirklichkeit nicht gerecht werden. Diese Modelle werden aber nicht verworfen, sondern mit Zusatzannahmen erweitert, so dass das ursprüngliche Modell einen Spezialfall des neuen darstellt. Und nach einer erneuten Erweiterung, der gleichen Logik, können Stimmenverteilungen bei Wahlen oder Meinungsverteilungen bei strittigen Themen schon erstaunlich gut abgebildet werden. Was bedeutet das jetzt? Haben wir jetzt ein mathematisches Kalkül, das schlicht Daten gut abbildet, oder haben wir einen sozialen Mechanismus entdeckt oder beschrieben?

Danach die Praxis – direkte Diskussion und Ringen um die gemeinsame Basis, nicht nur beim Werwolf-Spielen am Abend, sondern in den Arbeitsgruppen, die dabei schon erste Ergebnisse und Ansätze zusammengetragen haben. Und es läuft, es läuft nicht nur irgendwie, sondern erstaunlich mühelos fanden sich die interdisziplinären Teams zusammen.

Die Evolution von Staaten und Organisation: Wir sehen einem spannenden und kontroversen Semester entgegen, auch wissenschaftlich fruchtbar. Das Kickoff-Meeting des Seminars hat definitiv Lust auf mehr gemacht. Für alle, die neugierig geworden sind: Die Ergebnisse planen wir übrigens zugänglich zu machen, sodass jede(r) teilhaben kann an dem Experiment.

Matthias Gsänger (JMU Würzburg), Volker Hösel (TUM), Johannes Müller (TUM)

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