Forschung und Lehre
Forschungsschwerpunkte
- Hilfe-, Therapie- und Beratungsforschung
- Psychosoziologie & Sozialpsychologie
- Systemtheoretische Ansätze
- Interaktions-, Prozess- und Praxistheorien
- Gesellschaftstheorie & Wissenssoziologie
- Intersektionalität und Diskriminierung (v.a. Geschlecht & Gender, Dis/ability, Sexualitäten, Alter, Status, Klasse)
Promotionsprojekt
Grundlegung einer systemischen Psychosoziologie: Kontexte der Theoriegenese im Frühwerk Erving Goffmans.
Ziel des Promotionsvorhabens ist es die frühen Theoriekontexte und -beziehungen des jungen Goffmans zu rekonstruieren um deren potenziellen Einfluss auf dessen Theoriegenese aufzuzeigen. Dies soll dabei helfen das Frühwerk Goffmans entlang der Probleme rekonstruierbar zu machen, um die herum sich seine Beschreibungen als Lösungsversuche anordnen. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein nicht unerheblicher Teil der in Goffmans Werk explizierten Theoriefiguren durch diese frühen Kontexte und den in ihnen behandelten Problemlagen geprägt sind. Da diese Theoriefiguren ihre Kontur erst aufgrund eben jener Problemlagen erhalten, zu deren Beschreibung, Erfassung und Verständnis sie als Mittel konstruiert wurden, soll über die Rekonstruktion der Kontexte ein tieferes Verständnis der Theorieanlage Goffmans möglich werden. Ein dafür über mehrere Jahre in nationalen und internationalen Archiven und Sammlungen zusammengestellter Text- und Datenkorpus – in dem sich zu einem großem Teil bis dato unbekannte Archivdaten, Manuskripte und Briefe befinden – ermöglicht es viele der existierenden Wissenslücken über die frühe Ausrichtung und Verortung Goffmans zu schließen. So werden nicht nur neue Perspektiven auf sein Werk möglich, sondern ungeahnte Problemund Phänomenbereiche sichtbar, an denen sich ein großer Teil seiner späteren theoretischen Ausführungen profiliert haben und die sich als Angelpunkte durch das gesamte Werk ziehen. Dabei wird ein Goffman sichtbar, der versuchte sich in einem ganz zeitspezifischen Diskurs einzubringen und der dabei ungeahnte Affiliationen einging. Er bewegte sich nicht nur zwischen verschiedenen Disziplinen, sondern verfolgte eine Stoßrichtung, bei der es darum ging, in Zusammenschau von Psychologie, Psychoanalyse, Soziologie, Sozialanthropologie sowie der aufkommenden Systemtheorie einen eigenständigen Ansatz zu entwickeln. Dieser Ansatz kann wohl am deutlichsten mit dem Begriff der (systemischen) Psychosoziologie beschrieben werden.
Das Promotionsprojekt ist ein Teilprojekt der ›Goffman Studies‹.
Übersetzungsprojekt: Erving Goffman Ausgewählte Schriften
Erving Goffman gilt nicht nur als Klassiker der Soziologie, sondern ist einer der wenigen Soziologen des 20ten Jahrhunderts, dessen Arbeiten gleich in mehreren, heute zum Kanon der Sozialwissenschaften gehörenden, Forschungszweigen als Gründungstexte rezipiert werden (vor allem Gender Studies, Soziologie der Geschlechterdifferenz, Diskriminierungs- und Stigmaforschung, Dis/ability Studies, Konversationsanalyse, Visuelle Ethnografie, Psychiatriekritik, Labeling Approach u.v.m). Jährlich erscheinen neue Bücher, die seinen Ansatz aufgreifen oder explorieren, was seine ungebrochene Aktualität verdeutlicht. Überraschend an der deutschen Rezeption bleibt daher, dass noch immer ein Teil seiner Schriften unbekannt und unübersetzt geblieben sind. Zugleich wurde der als Übersetzung vorliegende Teil häufig ohne Rücksicht auf die disziplinspezifischen Bedeutungskontexte verwendeter Theoriefiguren und Fachbegriffe sowie die werkübergreifende theoriebegriffliche Kontinuität vorgenommen. Die vorliegenden ins Deutsche übertragenen Arbeiten zeichnen sich neben der uneinheitlichen Übersetzung einheitlicher Begriffe zudem immer wieder durch (teils grobe) Übersetzungsfehler und unmarkierte Weglassungen aus. Zum Teil scheint dies dem Umstand geschuldet zu sein, dass einige der Übersetzungen ohne Rücksicht auf die fachdisziplinären Bedeutungen und Differenzen spezifisch soziologischer und anthropologischer Fachtermini erstellt wurden.
Entsprechend sind in der bisherigen deutschen Goffmanrezeption gewisse Schlagseiten sichtbar und der Zugriff auf das theoretische Œuvre Goffmans zeigt sich häufig auf Einzelaspekte reduziert. Die theoretischen Zusammenhänge seiner Arbeiten untereinander sowie der Anschluss an und die Einbettung seiner Theorie in größere Ideenzusammenhänge seiner Zeit sind selten erkennbar. Aus diesem Grund verfolgen wir in einem mehrjährigen Projekt und in Zusammenarbeit mit den transcript Verlag die Edition ausgewählter Schriften Erving Goffmans. Diese werden aus einer Zusammenstellung von kommentierten Erst- und Neuübersetzungen einiger seiner wichtigsten Arbeiten bestehen.
Geplant ist eine wissenschaftlich kommentierte Übersetzung, die das Ziel verfolgt, theoretisch und begrifflich relevante Aspekte und Entwicklungen auch intertextuell sichtbar sowie nachvollziehbar zu machen und, wo nötig, auf ideengeschichtliche Kontexte zu beziehen. Die dabei getroffenen Übersetzungsentscheidungen werden ebenfalls erläutert um so für die LeserInnner die Punkte zu markieren, an denen relevante Entscheidungen auch anders hätten getroffen werden können.
Für die Übersetzung konnten wir mit Brigitte Luchesi eine der versiertesten und bekanntesten Übersetzerinnen kultur- und sozialwissenschaftlicher Literatur für unser Projekt gewinnen. Als renommierte Ethnologin und Religionswissenschaftlerin, die seit Jahrzenten in der ethnografischen Feldforschung tätig ist, hat sie einige der wichtigsten sozialwissenschaftlichen Werke ins Deutsche übersetzt (Werke von Personen, die zu einem nicht unerheblichen Teil dem direkten theoretischen Umfeld Goffmans zugerechnet werden können wie Mary Douglas, Clifford Gertz, Harold Garfinkel u.a.). Erst kürzlich hat sie mit der Übersetzung des lange als unübersetzbar gegoltenen Hauptwerks von Harold Garfinkel – den ›Studies in Ethnomethodology‹– Aufsehen erregt. Die von Brigitte Luchesi erstellten Übersetzungen werden von René Salomon bearbeitet und kommentiert.
Die Ausgewählten Schriften werden in der Schriftenreihe ›Goffman Studien‹ in Zusammenarbeit mit dem transcript Verlag erscheinen. Dieses Projekt ist Teilprojekt der ›Goffman Studies‹.
Projekt Goffman Studies
Das Projekt ›Goffman Studies‹ möchte die in Erving Goffmans Arbeiten dargelegten Problemstellungen und Lösungsvorschläge explizieren, um zu sehen, inwieweit diese für heutige Fragestellungen der soziologischen Theoriebildung nutzbar gemacht werden können und welche Entwicklungsmöglichkeiten sich für daran anschließende Arbeiten ergeben. Neben der kommentierten Edition der ausgewählten Schriften Goffmans sowie der Schriftenreihe ›Goffman Studien‹ ist die Anlage eines Goffman Forschungsarchivs in Planung. Dieses Gesamtprogramm möchte zugleich einen Rahmen für Qualifikations- und Forschungsarbeiten anbieten, die sich in diesem Kontext verorten lassen und die Auslotung bisher unbeachteter Anschlussmöglichkeiten der goffmanschen Theorie für die Bereiche der visuellen Soziologie, den Gender- und der Diss/ability Studies ermöglichen.
Abgeschlossene Forschungsprojekte
Praktiken der Hilfe. Ethnografisches Forschungsprojekt (2010 - 2015)
Das Projekt ist in zwei Stränge unterteilt, die aufeinander aufbauen - dabei ist der Erste der qualitativen empirischen Soziologie zuzuordnen und der Zweite der theoretischen Soziologie.
Der erste Strang besteht aus einer Praxeografie der sozialen Hilfen. Obwohl dieses Feld regelmäßig in Politik und Medien thematisiert wird, einen immer größeren Wirtschaftsfaktor darstellt und Zielpunkt unterschiedlichster Ausbildungsberufe sowie Studiengänge ist, fehlt es an einer soziologischen Beschreibung der dieses Feld konstituierenden Praktiken. Das Projekt leistet einen Beitrag zur Schließung dieser Lücke, indem die Frage nach den Praktiken – und damit der Vollzugswirklichkeit – des Alltags sozialer Hilfen gestellt wird. Mit sozialen Hilfen sind unterschiedliche Angebote in sozialen personenbezogenen Dienstleistungsorganisationen gemeint, in denen Sozialarbeitende tätig sind. Hierzu wurden in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren (2010 bis 2013) praxeografische Feldstudien in verschiedenen Bereichen der Beratung (Psychosoziale Beratung, Suchtberatung, Opferhilfe, Erziehungsberatung, Krisenhilfe, Gesundheitsberatung, Arbeitsberatung), der Kinder- und Jugendhilfe (offene Kinder- und Jugendarbeit), der Eingliederungshilfe, der Schulsozialarbeit sowie der Wohn- und Pflegeheime in mehreren deutschen Großstädten durchgeführt. Leitend war dabei die Frage, durch welche Praktiken und Interaktionsordnungen sich der professionelle Alltag der sozialen Hilfen vollzieht. Teilfragen sind: wie sehen diese Praktiken aus? Wie können sie beschrieben werden? Markieren die offensichtlichen Unterschiede in Bezug auf Zielsetzungen, Organisationsformen, Finanzierungen, personeller und materieller Ausstattungen, sowie Klientel und Arbeitssituationen auch Unterschiede oder Ähnlichkeiten in den Praktiken und falls ja, welcher Art? Ziel des empirischen Teils der Untersuchung war somit die Beschreibung der lokalen Praktiken und Interaktionsordnungen, durch die und in denen die beteiligten Personen ihren professionellen Alltag hervorbringen.
Der zweite Strang bezieht sich auf das in der Praxistheorie immer wieder betonte Verhältnis von Theorie und Empirie. Dieses Verhältnis wird als eines beschrieben, bei dem sich die Theorie der Empirie beugt. Empirie soll zur Theoriegenese führen und nicht umgekehrt. Diese Grundhaltung der Praxistheorie wurde genutzt, um konkret an der durchgeführten Praxeografie praxistheoretische Theoriefiguren, Begriffe und Methoden auf ihre Anwendbarkeit hin zu betrachten. Dabei wurde deutlich, dass einige der Theoriefiguren neu gefasst werden müssen, andere fallen gelassen werden sollten und neue gebildet werden müssen, wenn die im Feld beobachtbaren Phänomene adäquat erfasst werden sollen. Da sich vor allem die Theorien von Erving Goffman und Niklas Luhmann um ähnliche Phänomene und Probleme gebildet haben, wie sie von der Praxistheorie adressiert werden, wurde geprüft, inwieweit diese Theorieansätze für eine Weiterentwicklung praxeologischer Theoriefiguren nutzbar zu machen sind.
Lehre
Auswahl der bisher angebotenen Seminare:
- Die Existenzanalyse Viktor Frankls und ihre implizite Soziologie: Sinnsemantiken, Dimensionalontologie und die Einheit von Psycho- und Soziogenese
- Humandifferenzierung und Interaktionsordnung
- Gesellschaftstheorie
- Didier Eribon und Andrew Abbott: (Auto-)Biografisch-historische Prozess-, Klassen- und Statusanalyse
- The Arrangements between the Genders
- Praxistheoretische Ansätze
- Körper und Gesellschaft
- Soziologie der Emotionen
- Rahmenanalyse
- Wissenschaftliche Arbeitstechniken
- Stigmatisierung, Peripherisierung und Exklusion
- Niklas Luhmanns systemtheoretische Wissenssoziologie
- Die Chicagoer School of Sociology (Stadt- und Raumsoziologie)
- Zum Theorieansatz von Harold Garfinkel
- Interaktionssysteme
- Zum empirischen und sozialtheoretischen Ansatz von Charles und Marjorie-Harness Goodwin
- Mikrosoziologische Theorieansätze
- Zum Theorieansatz von Erving Goffman
- Aktuelle Forschungsfragen der Soziologie
- Neuere theoretische Ansätze der Soziologie
- Vertiefung in die soziologische Theorie
- Theoriebewegung und Entwicklung im Frühwerk Talcott Parsons
- Rational Choice, Symbolischer Interaktionismus und phänomenologische Wissenssoziologie
- Erving Goffman und Harold Garfinkel: Ein Theorievergleich
- Niklas Luhmanns Theorie der Gesellschaft
- Alfred Schütz, Norbert Elias und Erving Goffman
- Erving Goffmans Frühphase
