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Institut für Politikwissenschaft und Soziologie

Vortrag: Intersektionalitätsforschung in den angewandten Sozialwissenschaften

Im neuen Sommersemester 2022 startet der AK Gender in eine neue Vortragsreihe zu „Gender und Intersektionalität“.  Am 18.05.22 hielt Dr. Annette Korntheuer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) einen Vortrag mit dem Titel "Intersektionalitätsforschung in den angewandten Sozialwissenschaften - Möglichkeiten, Grenzen und forschungsethische Bedingungen". 

In dem Vortrag zeigte Dr. Annette Korntheuer auf, dass Forschung einerseits Fragen beantwortet, andererseits jedoch auch neue theoretische, forschungsmethodische und praxisbezogene Fragen aufwirft. Ausgehend von dieser Grundannahme entwickelte Dr. Korntheuer in ihrem Vortrag Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen der Intersektionalitätsforschung entlang von sieben Denkschritten.

  1. Im Zuge der Adressierung möglicher Forschungspartner*innen stehen Forschende vor der Herausforderung einerseits bestimmte gesellschaftliche Gruppen ansprechen zu wollen, andererseits durch die Ansprache bereits eine Kategorisierung der Forschungspartner*innen (z.B. anhand ihrer Geschlechtsidentität, Migrationserfahrung, Behinderung, etc.) vorzunehmen. Damit tragen Forschende unter Umständen selber zu kategorisierenden Praxen bei.
  2. Davon ausgehend blieben Bezeichnungspraxen in Differenzkategorien verhaftet, die eine Verwobenheit zwischen verschiedenen Merkmalen einer Person in nur geringem Maße berücksichtigen (können).
  3. Intersektionalitätsforschung setzt an dieser Stelle an und nimmt die Heterogenität von sozialen Differenzkategorien in den Blick. Dabei steht insbesondere die Verwobenheit der verschiedenen Kategorien und deren Einfluss auf das Individuum sowie gesellschaftliche Gruppen im Fokus.
  4. Darüber hinaus betrachtet Intersektionalitätsforschung bestehende Machtverhältnisse auf unterschiedlichen Ebenen.
  5. Ausgehend von der Betrachtung sozialer Differenzkategorien steht die Intersektionalitätsforschung jedoch vor der Herausforderung diese Kategorien zu reproduzieren, was zu einer Perpetuierung von Stereotypisierung sowie der Zementierung hegemonialer Normalitätsvorstellungen beitragen kann. Sprich die Adressierung von Forschungspartner*innen entlang unterschiedlicher sozialer Differenzkategorien zementiert einerseits diese Kategorien, während sie andererseits jedoch notwendig ist, um Diskriminierungsprozesse überhaupt sichtbar machen zu können.
  6. Der Versuch, Forschungspartner*innen durch eine möglichst kleinteilige Strukturierung verschiedener sozialer Differenzkategorien genauer betrachten und so der Individualität besser gerecht werden zu können, führt zu einer starken Fragmentierung des Forschungsprozesses, was dem ganzheitlichen Gedanken eines Zusammenspiels verschiedener Heterogenitätsdimensionen wiederum nicht gerecht werden kann.
  7. Die Intersektionalitätsforschung steht somit zusammenfassend vor dem Spannungsfeld der Zielgruppenorientierung einerseits sowie der Inklusion andererseits.

Dr. Annette Korntheuer machte entlang der sieben Denkschritte sowie Beispielen aus eigenen Forschungsprojekten grundlegende Herausforderungen der Forschung zu Intersektionalität deutlich. Insbesondere das Spannungsfeld zwischen bezeichnender und kategorisierender Praxis einerseits und der Notwendigkeit der Benennung von Unterschiedlichkeit mit dem Ziel des Sichtbar-Machens bestehender Machtverhältnisse andererseits wurde in dem Vortrag deutlich. Abschließend verwies Dr. Korntheuer auf die Notwendigkeit, das Individuum nicht als Vertreter*in einer Differenzkategorie zu betrachten, sondern zu einem ganzheitlichen Blick zu gelangen. In diesem Zusammenhang sprach sie auch die Bedeutung partizipativer Forschung an, sodass die Perspektive von Vertreter*innen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen stärker bereits im Forschungsprozess Berücksichtigung finden kann.

Wir danken Dr. Annette Korntheuer für den spannenden Vortrag sowie die angeregte und kritische Diskussion.