Intern
Institut für Politikwissenschaft und Soziologie

Vortrag: Der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland

Auch in der vorlesungsfreien Zeit setzt der AK Gender seine Vortragsreihe zu „Gender und Politik“ im Wintersemester 2021/22 fort. Am 07.03.2022 hielt Leonie Kühn, stellvertretende Vorsitzende von Doctors for Choice Germany e.V. (https://doctorsforchoice.de/), einen Vortrag mit dem Titel „Der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland - eine Bestandsaufnahme“.

In Deutschland werden jährlich 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, jede 6./7. Frau bricht eine Schwangerschaft ab. Ungeplante/-wollte Schwangerschaften sind häufig, davon kommen 40% trotz Verhütung zustande und ca. 60% werden ausgetragen. Die Versorgungslage in Deutschland wird kritischer, da immer weniger Ärzt*innen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen (Rückgang in den letzten Jahren beträgt ca. 45%). Des Weiteren ist eine Aus- oder Weiterbildung für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen im Medizinstudium oder der gynäkologischen Fachärzt*innenausbildung nicht im Lehrplan enthalten.

Leonie Kühn zeigte zu Beginn die rechtlichen Rahmenbedingungen von Schwangerschaftsabbrüchen auf. Dabei ging sie zum einen auf den §218 StGB, welcher Schwangerschaftsabbrüche als Strafbestand definiert, aber welcher auch drei Ausnahmeregelungen festlegt (Beratungsindikation, medizinische sowie kriminologische Indikation). Zum anderen ging sie auf den §219 StGB ein, welcher definiert, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur dann möglich ist, wenn die Belastung für die schwangere Person zu hoch ist, und auf den §219a StGB, welcher ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche definiert. Besonders der §219a steht immer wieder in der gesellschaftlichen und ärztlichen Kritik, da der Paragraf auch das Bereitstellen von sachlichen Informationen zum Schwangerschaftsabbruch durch Ärzt*innen auf ihren Webseiten strafbar macht.

Anschließend ging Leonie Kühn auf sechs Mythen zum Schwangerschaftsabbruch ein.

  1. Kriminalisierung verhindert Abbrüche. In der Realität werden aber durch die Kriminalisierung sichere Abbrüche verhindert.
  2. Von ungeplanten Schwangerschaften sind besonders naive, kinderlose Frauen betroffen. Die demografische Verteilung zeigt aber, dass insgesamt ¾ der Frauen in Deutschland, die ungewollt schwanger werden, über 25 Jahre alt sind, das heißt auch ältere Frauen werden ungeplant schwanger, und ca. 60% der Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entschließen, haben bereits mindestens ein Kind.
  3. Bei einem Schwangerschaftsabbruch handelt es sich um Kindermord. Tatsächlich werden aber über 70% der Schwangerschaften vor oder in der zehnten Woche beendet. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Embryo bzw. Fötus (je nach Zeitpunkt des Abbruchs) noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium, welches sehr differenziert zu den von Abbruchsgegner*innen verwendeten Fotos von Kindern und Hochschwangeren betrachtet werden muss.
  4. Wenn Abbrüche legal wären, dann würde bis zur Geburt abgetrieben. In Ländern mit legalisiertem Schwangerschaftsabbruch (Neuseeland) oder geringeren Barrieren zum Schwangerschaftsabbruch (Großbritannien) zeigt sich, dass der Anteil von frühen Schwangerschaftsabbrüchen steigt, z.B. stieg in Großbritannien der Anteil an Abbrüchen in der dritten bis fünften Woche von 14% auf 40% an, nachdem Telemedizin in der Corona-Pandemie möglich wurde.
  5. Schwangerschaftsabbrüche gehen mit vielen Komplikationen einher In der Realität gehen nach den bisherigen Forschungsergebnissen Schwangerschaftsabbrüche mit einem geringeren gesundheitlichen Risiko einher als ausgetragene Schwangerschaften. Allerdings gibt es bisher wenig wissenschaftliche Studien die Schwangerschaftsabbrüche befassen.
  6. Es gibt ein Post Abortion Syndrom. Auch hierzu gibt es nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse. Bisherige Ergebnisse zeigen aber, dass die psychische Verarbeitung eines Schwangerschaftsabbruchs gut verläuft und Langzeitfolgen sehr selten sind. Hingegen sind Risikofaktoren für ein Post Abortion Syndrom die vorherige psychische Gesundheit und das stigmatisierende Verhalten, z.B. durch Gesundheitspersonal, das soziale Umfeld und die Gesellschaft.

Abschließend zeigte Leonie Kühn auf, dass immer mehr Länder, besonders katholisch geprägte Länder, wie Nordirland und Argentinien, Schwangerschaftsabbrüche legalisieren. Des Weiteren hat sich in den letzten Jahren der Anteil an Personen, die Schwangerschaftsabbrüche befürworten erhöht. Außerdem würden bisher wenig wissenschaftliche Studien zum Schwangerschaftsabbruch durchgeführt. In Deutschland liegt derzeit ein Abschaffungsvorschlag für den §219a StGB vom Bundesjustizministerium vor.

Der Doctors for Choice e.V. setzt sich dafür ein, dass Schwangerschaftsabbrüche Teil der öffentlichen Gesundheitsleistung werden und das Aus- und Weiterbildungsangebot für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen ausgebaut wird. Der Verein wie auch der Verein Medical Students for Choice organisieren regelmäßig Papaya-Workshops, in welchen die (angehenden) Ärzt*innen lernen Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Ein weiterer Vorschlag ist es, den Versorgungsschlüssel anzupassen, so dass öffentliche Kliniken die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen anbieten müssen und auch medizinisches Personal, wie Hebammen und Pflegekräfte, medikamentöse Abbrüche betreuen können.

Der AK Gender dankt Leonie Kühn für die spannende Präsentation und anschließende Diskussion und allen Teilnehmer*innen für das Interesse.